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Kleine Geschichte der Sarg- und Sterbewäsche

oder warum es Unternehmen wie Leonhard Goetz Nachf. gibt

Bild: niederländische Sargmacher bei der Arbeit, um 1880.

Am rechten Bildrand sieht man eine Frau beim Ausschlagen des Sarges mit Stoff.

Trauerwarenfabriken entstehen um die Mitte des 19. Jahrhundert.

Sie entwickeln sich nicht selten (wie auch Leonhard Goetz Nachf.) aus einem Weißwaren und Ausstattungsgeschäft oder aber aus einem Blumengeschäft, das zusätzlich Totenschmuck, Wachsschleifen und Grabkränze anzubieten hat. Somit ist das Textilgeschäft der Herstellung von Sarg- und Sterbewäsche zwar formal näher, aber keineswegs unmittelbare Voraussetzung.

Die textile Verhüllung der Toten ist älter als der Sarg. In Binden gewickelte ägyptische Mumien sind Vielen bekannt, textile Reste von Grabfunden anderer Zeiten und Kulturen werden in archäologischen Museen verwahrt, und auch die Bibel berichtet von der Auferweckung des Lazarus (Joh. 11, 4), dass dieser in Binden eingewickelt gewesen ist. Mittelalterliche Stundenbücher zeigen Beisetzungen, bei denen der Verstorbene in ein großes Tuch eingenäht, ohne Sarg in das Grab hinabgelassen wurde.

Das Mittelalter kennt daneben Bestattungen priviligierter Personen, die zu Lebzeiten keineswegs einem Orden angehörten, im Ordenshabit als Beleg ihrer religiösen Gesinnung und damit als Garant für ihr Seelenheil.

Regelrechte Sterbe- oder besser Totenkleidung, die dem Verstorbenen bewusst angezogen wird, ist aber erst seit der Renaissance üblich.

Es sind entsprechend aufwendige (Festtags-) Kleider, die der Verstorbene für sein „letztes Fest" auf Erden trägt.

In der Barockzeit wandelt sich sodann das Trauerverständnis zu einer theatralischen Übersteigerung und damit auch der Prunk der Leichenkleidung.

Nach allen übersteigerten Ausschweifungen folgt immer auch eine Phase der Reformen und Verbote, der Ernüchterung und Reduktion. Diese kennzeichnen erstmals das ausgehende 18. Jahrhundert.

Das schlichte weiße Sterbehemd, oftmals identisch mit dem Brauthemd wird Teil der (ländlichen) Aussteuer.

Zu Beginn des 19. Jahrhundert greift daneben aber ein erneutes „Herausputzen" der Leiche mit eigens gefertigter Sterbewäsche oder der Hochzeitskleidung, dem Kirchen- oder Festtagsgewand nicht nur auf alle Bevölkerungsschichten, sondern sogar auf die Sarginnen-verkleidung über.

Ein neuer Geschäftszweig, der der Trauerwarenanbieter entsteht (Leonhard Goetz Nachf. seit 1849!). Und wo die Armut der Bevölkerung ein Mitgeben des besten Gewandes unterband, sprangen die Trauerwarenhersteller mit der Produktion von extra gefertigter Leichenbekleidung aus einfacheren Stoffen oder sogar aus Papier ein. Um dennoch einen dem Anlass entsprechenden kostbaren Eindruck hervorzurufen, wurde diese Kleidung mit Spitzen Rüschen und Ziernähten (Relikten der Festtagskleidung) versehen, eine Erfindung der Trauerwarenhersteller, die bis heute ihre Gültigkeit hat.

Trotz des optisch hochwertigen Eindrucks wurde diese Bekleidung häufig als (ihrem Ursprung entsprechend) ärmlich empfunden, was ihre komplette Durchsetzung verhinderte, auch wenn es in Notzeiten immer wieder oberbehördliche Verordnungen zu ihrem Gebrauch gab.

Heute ist eine erneute Wandlung zu beobachten, offene Aufbahrungen werden seltener, die Trauer der Hinterbliebenen ist "privater" denn je geworden, und so verwundert es nicht, dass immer mehr Bestattungen in privater (Freizeit-) Kleidung stattfinden.

Mit freundlicher Unterstützung des Museum für Bestattungskultur in Kassel,
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